Nach einem Jahr mit "kreativer Pause" geht es hier endlich weiter.
Der neue Drehtisch VERTEX scheint seiner Produktbeschreibung zu entsprechen. Meine Messungen haben eine Exzentrizität von +/- 0,01 mm ergeben.
Zum Testen habe ich eine Messingscheibe mit rund 40 mm Durchmesser auf einem meiner Aufspannflansche befestigt und sie damit auf der kleinen Mechanikerdrehbank (mit Spannzangenfutter) rund gedreht. Dann wurde der Spannflansch samt Scheibe auf dem Dreibackenfutter auf dem Drehtisch gespannt.
Das Dreibackenfutter wurde solange justiert, bis der Rundlauffehler unter 0,02 mm war. Die Scheibe erhielt dann 120 Radzähne. Anders als bei den mit dem alten Drehtisch gefertigten Rädern, konnte ich nun augenscheinlich keine unterschiedlich breite Zahnspitzen erkennen.
Meine weiter vorn beschriebenen Lauftests zeigten ja Probleme bei mehreren Rad-Trieb-Paarungen. Bei ausgebautem Anker habe ich erneut das Uhrwerk bei unterschiedlich schwerem Antriebsgewicht getestet. Zum Teil waren 800 bis 1200 Gramm (an der Seilrolle) erforderlich, um die Räder zum Drehen zu bringen. Je nach Radstellung schwankte diese Mindestantriebskraft.
Bei dem Test festgestellte Mängel: A - Eingrifffehler aufgrund ungleich tiefer Zahnzwischenräume (GB bis Gangrad) B - zu schwer gängige Kugellager (Minutenrad und KB-Rad) C - zu viel Reibung an den Rubinlagern (Sekundenrad, Zwischenrad, Gangrad)
Problem A - Eingrifffehler Die ungleich tiefen Zahnzwischenräume waren die Folge des schlechten Rundlaufs des alten Drehtisches. An den betreffenden Rädern habe ich die Zähne nachbearbeitet. Zum Nachfräsen habe ich den Zahnformfräser so eingestellt, dass er den tiefsten Zahngrund gerade so erreicht. Diese Einstellung sowie die Justierung des Fräsers auf die Mitte der Zahnlücke hat einige Zeit gekostet.
Vor dem Einschalten der Frässpindel habe ich erst visuell überprüft, ob die Fräserspitze auch nach dem mehrmaligen Weiterdrehen des Rades entsprechend der Zahnteilung die Zahnlücke trifft. Das tat sie aber nicht!
Wie war das möglich? Der VERTEX-Drehtisch geht bei einer Kurbelumdrehung 4 Grad weiter, beim alten Drehtisch waren es nur 3 Grad. Ich musste daher zunächst meine Tabelle für die Einstellung bei unterschiedlichen Zähnezahlen für den neuen Drehtisch neu berechnen.
Dabei zeigte sich ein weiteres Problem: Der vorhandene Teilscheibensatz (für den VERTEX) ermöglicht es nicht, Räder mit 128 Zähnen zu schneiden. Doch das Kleinbodenrad hat 128 Zähne. Dafür ist ein 64er Teilkreis erforderlich.
Meine Teilscheibe für die Uhrmacherdrehbank besitzt einen Teilkreis mit 128 Löchern. Den benutzte ich, um eine 128er Teilscheibe für den VERTEX-Drehtisch anzufertigen.
Für die neue Teilscheibe brauchte ich auch eine Schere mit längeren Armen. Die musste also auch noch gemacht werden.
Und für den Indexstift war eine längere Kurbel anzufertigen. Nun war die Teilvorrichtung einsatzbereit.
Mit den nachbearbeiteten Verzahnungen lief das Uhrwerk ohne Hemmung nun leichter und mit gleichmäßigem Reibungswiderstand.
Problem B - Kugellager Erst beim genaueren Hinsehen bemerkte ich, dass sich einige Räder um einen kleinen Winkel zurück drehten, nachdem ich sie in Drehung versetzt hatte und sie dann stehen blieben. Fazit: Kugellager mit zu viel Vorspannung zwischen den Kugeln und deren Laufrillen. Diese störende Vorspannung wurde hier im Forum auch schon erwähnt.
Die betreffenden Kugellager habe ich entfettet und dann mehrere Minuten mit hoher Drehzahl (ca. 10.000/min) drehen lassen, dann gereinigt, mit Esynth 1-3 geölt und dann eingebaut. Und schon liefen die Räder nach dem Anstoßen viel länger als vor der Lagerbehandlung.
Problem C - Rubinlager Hier fand ich mehrere Störquellen. - Zum einen waren einige Lagerzapfen nicht wirklich blank. Einen konnte ich durch nochmaliges Rollieren glätten. Die zwei anderen waren so schlecht, dass ich die Welle komplett neu anfertigte (nun zum fünften mal). - Die axiale Ausrichtung der Lagersteine jeder Welle habe ich nochmals kontrolliert und tw. korrigiert. - Zwei Rubinlager hatten auf der glatten (wellenseitigen) Fläche winzige Ausbrüche, vermutlich durch das häufige Zusammen- und Auseinanderbauen des Uhrwerks. Zum Glück hatte ich für deren Ersatz noch Reservesteine, denn die ursprüngliche Beschaffungsquelle gibt es nicht mehr.
Nach Erledigung dieser zahlreichen Nachbesserungen benötigte das Uhrwerk nur noch 600 Gramm an der Seilrolle, um ohne Hemmung gleichmäßig und langsam zu laufen.
Während das montierte Uhrwerk vorher sogar mit 5 kg Antrieb nach wenigen Stunden stehen blieb, läuft es nun seit zwei Tagen mit 3,8 kg. Die Pendelamplitude beträgt 18 bis 19 mm an der Pendelscheibe. Das ist ein guter Wert. Er liegt deutlich über dem für die Auslösung erforderlichen Wert von 16 mm. Da das später hinzu kommende Äquationswerk weitere Reibung erzeugt, werde ich das Antriebsgewicht möglicherweise noch etwas erhöhen müssen.
Wenn die Uhr noch eine Weile stabil läuft, kann ich mich dem Bau des Pendels widmen. Das Material dazu liegt bereit.
Zitat von Enno im Beitrag #346Nach einem Jahr mit "kreativer Pause" geht es hier endlich weiter.
Der neue Drehtisch VERTEX scheint seiner Produktbeschreibung zu entsprechen. Meine Messungen haben eine Exzentrizität von +/- 0,01 mm ergeben.
Gute Entscheidung. Eine große Verbesserung deiner Möglichkeiten bei erträglichem finanziellen Aufwand.
ZitatProblem B - Kugellager Erst beim genaueren Hinsehen bemerkte ich, dass sich einige Räder um einen kleinen Winkel zurück drehten, nachdem ich sie in Drehung versetzt hatte und sie dann stehen blieben. Fazit: Kugellager mit zu viel Vorspannung zwischen den Kugeln und deren Laufrillen. Diese störende Vorspannung wurde hier im Forum auch schon erwähnt.
Kein ordinäres Rillenkugellager von der Stange hat Vorspannung. In ausgebautem Zustand wackelt der Innenring sichtbar. Die Vorspannung entsteht evtl. durch schlechte Anschlussgeometrie vulgo Fluchtungsfehler.
ZitatDie betreffenden Kugellager habe ich entfettet und dann mehrere Minuten mit hoher Drehzahl (ca. 10.000/min) drehen lassen
Das ist eine riskante Sache. trockene Kugellager, die auch noch ohne Last schnell drehen bekommen Schäden durch Fressen. Die Kugeln rollen nicht mehr sondern rutschen, was sie nicht mögen. Man kann große (sehr teure) Wälzlager sogar final ruinieren, indem man sie einfach lastfrei laufen lässt. Kleine sind nicht so empfindlich.
Eine gute und montierbare Wälzlagerung mit mehreren parallelen Wellen zu konstruieren ist nicht trivial, wie ich hier schon mal 2018 angemerkt habe. Beeindruckend, dass Du seit 2016 an dem Projekt arbeitest und trotz der bitteren Rückschläge weiter optimierst. Ich ziehe meinen Hut.
. Viele Grüße von Coloman, der natürlich nicht ich ist.
Zitat von mikromeister im Beitrag #347Das ist eine riskante Sache. trockene Kugellager, die auch noch ohne Last schnell drehen bekommen Schäden durch Fressen. Die Kugeln rollen nicht mehr sondern rutschen, was sie nicht mögen.
Danke für den Hinweis. Kugellager nach dem Auswaschen in Benzin mit der Luftpistole auf Touren bringen, um sie zu trocknen - Das war üblich, als ich noch selbst an Motoren gewerkelt hatte.
Die Lager aus meinem Uhrwerk liefen nicht im Leerlauf, sondern mit leichter Belastung: Ich habe sie gegen den Antriebsriemen der Uhrmacherdrehbank gedrückt und sie absichtlich nicht vorher geölt, damit der Abrieb wärend des Einlaufens das Lager verlassen kann.
Hallo Roland, du kennst meinen Bericht "Versuchsuhr" ?
Mittlerweilen bin ich der Ansicht, dass Kugellager in größeren Uhren nichts verloren haben. Das Problem bei Kugellagern ist das geringe Spiel zwischen Kugeln und Laufbahn.
Frisch ausgewaschen laufen die Dinger super, aber im Gegensatz zu einer Armbanduhr hat eine größere Uhr mehrere Liter Luftvolumen. In dieser Luft gibt es Staub, Pollen oder auch Saharasand. Irgendwann findet ein Brösel seinen Weg in das offene Lager und vorbei ist der Leichtlauf. (Das kann halt nach einigen Stunden, Wochen oder Monaten vorkommen).
Ich habe Tests durchgeführt und feststellen können: Ein Messinglager, minimal geschmiert, läuft nur unwesentlich schlechter, ist aber stabiler, was Staub betrifft. Das Öl lässt keinen Staub in die relevante Lagerfläche eindringen.
Der Staub der in der Luft eines Uhrenkastens hängt ist nichts gegen den Dreck der bei der Montage etc. rein kommt oder schon drin ist. Partikelarm reinigen und montieren ist mein tägliches Brot und Du kannst mir glauben, dass der überwiegende Anteil der Verunreinigungen in einer sauberen Werkstatt über "Schmierinfektion" verschleppt werden oder aus den Haaren rieseln.
Ein Problem von Kugellagern ist, dass bei den geringen Lasten der Vorteil eines geringeren Reibungskoeffizienten durch den Nachteil des größeren wirksamen Durchmessers (=Hebelarm) und der konstanten Reibungswerte vom z.B. Käfig aufgefressen wird. Erst bei größeren Lasten tritt der Einfluss dieser parasitären Effekte zurück.
@Enno Kugellager trockenblasen kenne ich natürlich auch. Gefährliche Sache. Entschärfend wirkt, dass werkstattgemäßes Auswaschen in Benzin nicht annähernd fettfreie Bedingungen erzielt. Auch schwimmen in Werkstattbenzin so viele Partikel rum, dass man nicht sicher sagen kann ob es hinterher sauberer ist oder vorher. Nur das alte Fett ist raus. Zumindest ist es unter Werkstattbedingungen kaum möglich, ein Kugellager so auszuwaschen, dass es genauso seidenweich läuft wie original aus der Tüte. Da hakelt immer was.
. Viele Grüße von Coloman, der natürlich nicht ich ist.
Hier in der Südpfalz, ist die Raumluft schon sehr schmutzig. Wenn es Monate nicht regnet, staubt es gewaltig. Ich merke es auch an den kurzen Intervallen, wann ich Staubwischen muss. (Glasvitrinen etc.). Ein frisch gewaschenes Auto sieht nach 2 Tagen schmutzig aus.
Das mag in anderen Teilen Deutschlands nicht so extrem sein, aber Staub ist überall. Wenn ich einen Uhrkasten einmal/Woche oder Monat öffne, tausche ich auch den Luftinhalt. Das ist für Kugellager Gift.
Wir bauen eine Uhr. Dann erwarten wir, dass über Monate/Jahre das Teil gleichmäßig läuft. Genau das können Kugellager nicht liefern, weil sie viel zu empfindlich auf Mikrostaub reagieren. Ein Kugellager eines Armband- Uhrwerkes wird im Reinraum eingebaut und danach hermetisch verschlossen. Da funktioniert das natürlich.
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03.06.2025 20:43
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