Wie kommt man als Elektroniker eigentlich auf die Idee, eine Uhr bauen zu wollen? Wie ich bereits bei meiner Vorstellung erklärte, hat ein Katalog von Erwin Sattler mir dazu den entscheidenden Anstoß gegeben.
Inzwischen sind einige Jahre ins Land gegangen, in denen ich zwar nicht untätig war, aber hier im Forum nur sporadisch Einzelheiten zu meinem Projekt erwähnte. Nun möchte ich beginnen, den Fortgang meiner Arbeiten zu dokumentieren.
Als rechentechnische Hilfsmittel nutze ich
- AutoCAD Das Programm nutze ich bereits viele Jahre. Es besitzt viele geometrische Hilfen für die Konstruktion. Außerdem ermöglicht es eine strukturierte Konstruktion. Das heißt, ich kann Einzelteile erstellen, daraus Baugruppen zusammenfügen, daraus Baueinheiten usw. Jede Änderung in einer untergeordneten Ebene wird in der übergeordneten (z.B. Zusammenbauzeichnung) sichtbar. Die von mir genutzte Version ist schon in die Jahre gekommen. Sie unterstützt 2,5-D-Konstruktion. Man arbeitet stets in 2D, kann aber numerisch mit der Z-Koordinate arbeiten. Sogar ein beschränktes Rendern von so erstellten 3D-Objekten ist möglich, allerdings etwas mühselig.
- MS Excel Für die Dimensionierung von Räderwerk, Aufzug und Pendel sowie für Ermittlung des Materialbedarfs habe ich ein System von Formelblättern erstellt. Bei der Veränderung eines Details (z.B. Zähnezahl eines Rades) kann ich so alle Auswirkungen direkt beobachten (Gangdauer, Eingriffabstände u.a.m.).
Wie komme ich zu dem Projektnamen RGBH-60-1? - RG = meine Initialen - BH = Hemmung nach Beat Haldiman - 60 = Pendel mit 60 HS/min - 1 = Seriennummer
Spezifikation Bauart - Präzisionspendeluhr für Wandbefestigung - Gestürzte Hemmung - Gewichtsantrieb - 35 Tage Gangdauer
Gehäuse - Rückwandplatte aus Granit - dreiseitig verglaster, aufgesetzter Holzkasten mit Fronttür
Aufzug - manuell mittels Kurbel - Aufzugsvierkant in der Nabe des Stundenzeigers - Seilwalze mit Gegengesperr
Zifferblatt - Indikationen: Mittlere Ortszeit (Stunden, Minuten, Sekunden) und Wahre Ortszeit (Minuten) - klassisches Regulator-ZB (Zentralminute, kleine Sekunde, kleine Stunde) - Messing, graviert, versilbert, ausgelegt - Stahlzeiger gebläut
Gangregler - kompensiertes Sekundenpendel - Pendelstange aus Invar - Doppelzylinder als Pendelgewicht (ca. 5 kg) - Temperaturkompensation variierbar
Aktueller Stand Als ich von dem Vorhaben im Forum erstmals berichtete, hatte ich 5 bis 10 Jahre Bauzeit genannt. Diese Schätzung scheint realistisch zu sein. Bis heute (Januar 2016) sind diese Arbeitsabschnitte erreicht: - Berechnung Räderwerk als Konstruktionsbasis - Zifferblatt ist graviert - Rohmaterialien liegen bereit - Maschinen und Werkzeuge wurden beschafft - Senkrechtbohrvorrichtung gebaut - neue Werkstatt benutzbar eingerichtet - einige Detailkonstruktionen liegen als Skizzen vor - Bauteilliste erstellt - Bau eines großen Eingriffzirkels wurde begonnen
Das sind meine nächsten Pläne: - Räderwerk in CAD-Programm zeichnen, Tiefenstaffelung festlegen - Konstruktion Wellen, Lager, Werkplatinen, Pfeiler, Werkstuhl - Konstruktion Hemmungsteile, Pendelfeder - Konstruktion Pendel - Konstruktion Gehäuse
Daneben sind es noch handwerkliche Vorarbeiten zu erledigen: - Eingriffzirkel fertigstellen - Tiefenanschlag für Drehbank (zum Wellen drehen) - Spannzangen-Futter an Drehbank anpassen - elektronische Messeinrichtung (Pendelamplitude/-frequenz) mit Arduino
Ich drücke Dir alle Daumen, dass Du Dein Projekt bis hin zu einer fertigen Uhr mit einem vorzeigbaren Gang fertigstellen kannst.
Sehr gerne werde ich Dich dabei als stiller Zuschauer begleiten und mir nur hin und wieder erlauben, eine dumme Frage zu stellen, denn ich glaube, von Deinem Projekt viel lernen zu können.
Bleibe in dem von Dir gesteckten Rahmen und lasse Dich von niemandem dazu überreden, einen Flughafen zu bauen.
Also:
Vorhang auf, Bühne frei für Dich und viel, viel Erfolg!
Die CAD-Konstruktion ist eine gewaltige Fleißarbeit. Die vergangene Woche habe ich täglich Zahnräder und Triebe gezeichnet und räumlich angeordnet.
Weil ich dabei die Übersicht zu verlieren begann, habe ich zunächst ein Schema für den grundsätzlichen Aufbau des Räderwerks gezeichnet. Dies ist dabei herausgekommen:
Die Zeichnung ist nicht maßstabsgerecht!
Das sind die verwendeten Abkürzungen und ihre Bedeutung:
Antrieb - Au Aufzugswelle mit Vierkant - AR Aufzugsrad - W Walze mit + W1 Walzenrad (Abtrieb) + Gsp Gegengesperr + Sp Sperrrad + W2 Walzenrad (Aufzug) - GB Großbodenrad
Gangwerk - M Minutenrad - KB Kleinbodenrad - S Sekundenrad - SZ Sekundenzeiger - Z1 Zwischenrad - G Gangrad
Zeigerwerk - MRM Minutenrohr für Mittlere Ortszeit - MZM Minutenzeiger für Mittlere Orstzeit - WR Wechselrad - St Stundenrad - StZ Stundenzeiger
Nun geht es wieder an die CAD-Konstruktion. Die räumliche Zuordnung hat auch schon Engpunkte aufgezeigt, für deren Beseitigung noch Überlegungen und Änderungen erforderlich sind.
Zitat von MarkoStuhr im Beitrag #7Praktisch wäre gewesen, du hättest uns die Zahnzahlen dazu gegeben...
Während ich meinen Entwurf in eine CAD-Zeichnung umsetze, kommt es immer noch zu Korrekturen. Darum habe ich noch keine Zähnezahlen angegeben.
Auch zum Äquationswerk werde ich noch detailliert berichten. Eines schon jetzt: Das Differenzgetriebe hat mit der Zeitgleichung nichts zu tun. Es ist Teil des Zeigerwerks.
Nun habe ich alle Räder mit dem CAD-Programm räumlich verschachtelt. Dies ist die Ansicht des Uhrwerks mit den Funktionsgruppen - Antrieb (blau) - Aufzug (hellblau) - Gangwerk (orange und gelb) - Stundenzeigerwerk (pink)
Diese Teile des Räderwerks sind mit einem Zahnmodul m0,5 geplant. Nur das Kleinbodenrad weicht mit m0,4 davon ab.
Es ist kurios, was mir bei der CAD-Konstruktion so "auf die Füße fällt". Unter anderem musste ich feststellen, dass mir der Platz für die Werkpfosten fehlte. Darum habe ich die Platinen nun trapezförmig gemacht.
Die Dimensionierung der Radstärken hatte ich zunächst in Anlehnung an Regulatoren festgelegt. Weil meine Uhr als Monatsläufer arbeiten soll und die Antriebskräfte größer sind, musste ich Weil etliche Räder im Antriebswerk stärker machen. Dadurch ist das Stellmaß nun auf 32 mm gewachsen.
Aufzug durch das Stundenrad ist die klassische PPU- Ausführung. Allerdings benötigst du hier separate Pfeiler für die Zifferblattbefestigung. Hast du schon eine Ahnung wie schwer dein Gewicht werden muss, um all die Räder anzutreiben? Schöner Bericht....weiter so! LG M.
Auch Schlafen ist eine Form der Kritik, vor allem im Theater!
Die Anordnung des Aufzugs im Zentrum des Stundenzeigers und die gestürzte Bauweise habe ich bei einer Uhr in der Uhrmacherschule Glashütte gesehen. Das hat hat mir so gut gefallen, dass ich es übernommen habe.
Etliche andere Details habe ich ebenfalls bei meinen Recherchen nach PPU im Internet gesehen und als Anregung genutzt.
Laut meiner Berechnungstabelle könnte ich mit dem aktuellen Räderwerk und der vorgesehenen Fallhöhe eine Gangdauer von 40 Tagen erreichen. Dazu soll ein Antriebsgewicht von 3,5 kg benötigt werden. Für dessen Dimensionierung habe ich die Gangdauer und die Antriebsgewichte mehrerer Regulatoren als Rechenbasis verwendet. Ich bin sehr gespannt, wie der tatsächliche Energiebedarf meines Uhrwerks sein wird.
Da mich das Kalenderwerk an Uhren besonders interessiert, habe ich viel dazu im Internet recherchiert. Dabei stieß ich auf den Fachbeitrag Die "sogenannten" Gutwein-Uhren von Ian D. Fowler. Darin wurden auch Varianten von Äquationsgetrieben beschrieben.
Dieser Artikel hat mich inspiriert, ein Äquationswerk als Komplikation für meine PPU einzuplanen. Es kann als "Option" betrachtet werden, denn sein Einbau kann als Erweiterung in die ansonsten fertige Uhr erfolgen - vorausgesetzt, es wurden gewisse Bedingungen bereits bei der Konstruktion der Grundvariante berücksichtigt.
Anders als bei den "Gutwein-Uhren" wollte ich aber nicht ein Getriebe mit dem Minutenzeiger rotieren lassen. Darum habe ich das benötigte Getriebe als Kadratur vorgesehen.
Das Funktionsprinzip ist jedoch dasselbe: Die Äquation (Differenz zwischen Wahrer Ortszeit (Sonnenzeit) und Mittlerer Ortszeit) ist auf einer Kurvenscheibe als Profil dargestellt.
Diese Kurvenscheibe dreht sich einmal je (Sonnen-)Jahr und wird dabei am Umfang von einem Hebel abgetastet. Dieser steuert die Bewegung des zweiten Minutenzeigers. (Die Grafik stammt von einer früheren Version. Da sich die Scheibe links herum dreht, muss sie gespiegelt werden.)
Wenn man eine gut gebaute Sonnenuhr hat und dazu auch Sonnenschein, könnte man damit die Mittagszeit 12:00 Uhr ermitteln und eine mechanische Uhr danach stellen - wenn letztere die wahre Sonnenzeit anzeigt. Der Zeiger für die Sonnenzeit muss dann ebenfalls auf die 12 zeigen.
Damit das Äquationswerk genau ist, muss sich die oben genannte Kurvenscheibe einmal drehen im Verlauf eines "Tropischen Jahres". Seine Länge betrug im Jahr 2000 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 45,261 Sekunden.
Der Verlauf der Äquation über das Jahr ist nicht konstant, bleibt aber für viele Generationen mit ausreichender Genauigkeit fast gleich. Da sich die Erdrotation allmälich verlangsamt, nimmt die Länge eines Tropischen Jahres zu und zwar um 5 Sekunden in 1000 Jahren.
Der Gregorianische Kalender erreicht mit seinen Schaltjahresregeln eine sehr gute Annäherung an das Tropische Jahr. Der Fehler beträgt im Mittel nur 26 Sekunden pro Jahr.
Der in den "Gutwein-Uhren" verwendete Mechanismus ist noch genauer. Sein Fehler ist nur halb so groß, also 13 Sekunden pro Jahr. Dafür haben einige Räder bzw. Triebe auch sehr unübliche Zähnezahlen.
Auf Basis der Angaben aus dem Fachbeitrag habe ich für mein Äquationswerk diese Zähnezahlen festgelegt:
Das erste Rad wird aus Platzgründen nicht direkt vom Viertelrohrtrieb (Z24), sondern vom Wechselrad angetrieben. (Dadurch ergibt sich eine Umkehr der Drehrichtung von Jahresrad und Kurvenscheibe. s.o.) Mit diesen Zähnezahlen dreht sich das Jahresrad einmal in 365,242347 Tagen.
Für die Einkopplung der Äquation kommt ein Differenzgetriebe mit Stirnrädern zum Einsatz.
Das unterste Rad (Z48) steht im Eingriff mit dem Viertelrohrtrieb (Z24). Die Übersetzung vom unteresten Rad zum obersten beträgt 1:2. Darum wird die Drehzahl bereits eingangsseitig halbiert. Das oberste Rad (Z36) greift in das Trieb des Sonnenzeitzeigers (Z36). Die folgende Grafik zeigt die Eingriffsverhältnisse bei der Ansicht von oben auf das Uhrwerk:
In das mittlere Rad, in welchem auch die Welle der Planetenräder gelagert ist, wird die Äquation eingekoppelt. Hier hätte das Zahnsegment des Abtasthebels eingreifen können. Um jedoch den erforderlichen Hebelhub zu verringern, ist noch ein Zwischenrad zur Verstärkung der Auslenkung eingefügt.
Das Zahnspiel im Äquationswerk spielt kaum eine Rolle, da der Kraftfluss konstant ist. Möglicherweise muss für den Minutenzeiger der Sonnenzeit eine schwache Bremsung vorgesehen werden, damit er nicht trotz Wichtung vor- oder nacheilt.
Damit die Belastung des Gehwerks durch das Differenzgetriebe gering bleibt, erhalten die Planetenräder eine feinere Zahnung (m0,3). Außerdem muss ich großen Wert auf eine reibungsarme Lagerung legen. Dazu muss ich mir noch ernstahft Gedanken machen.
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17.01.2016 19:54 (zuletzt bearbeitet: 17.01.2016 19:56)
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