Irrsinn, oder?

Die, die sich das haben einfallen lassen, haben Geld bekommen.

Wofür auch immer.

Mein Problem mit solchen Meldungen ist immer, dass an allen Ecken und Kanten versucht wird, zu internationalisieren und gleichzubügeln.

Was ist denn der Vorteil an der Neuregelung? Dass auch ein Engländer versteht, was ein Meister ist? Das könnte man der geneigten Kundschaft zur Not gerade noch erklären.

Die horizontale und vertikale Duchlässigkeit des Bildungssystems hatten wir vorher auch schon: Ich habe den Abschluss der Höheren Handelsschule, habe KFZ-Mechaniker gelernt, bin KFZ-Technikermeister geworden und darf studieren (später kamen die Umschulung zum Fachinformatiker FR Systemintegration, diverse Herstellerscheine und der Datenschutzbeauftragte hinzu). Maschinenbau würde sich anbieten, weil berufsnah. BWL darf sowieso irgendwie jeder - und Germanistik auf Lehramt... OK.

Durch mein kleines Latinum hätte ich damals schon beginnen dürfen, Medizin zu studieren - dazu hätte es keines neuen Gesetzes bedurft. Dann hätte ich halt Venen entlüftet und Spaltmaße an Herzklappen eingestellt. Irgendwo an der Hypophyse hätte ich bestimmt was gefunden, um die Prüfspitzen meines Multimeters hinein zu pieksen.

Das Internationalisieren und Gleichbügeln mag momentan vielleicht en vogue und zumindest akustisch ein Schritt nach vorn sein - was sich aus dem Gesetzestext aber nicht ergibt, ist eine Antwort auf die Frage des Anspruchs an Ausbildung und Prüfung. Bleibt das Niveau erhalten oder wird es auf ein weichgespültes, internationales Niveau gestellt? Es kann halt nicht jeder Meister werden - was aber am Prüfling, nicht an dessen Herkunft gemessen werden muss.

Nicht dass ich unterstellen will, dass die Meister aus anderen Staaten weniger können - auf gar keinen Fall! Aber wenn es um Technik geht, glaube ich schon, dass es auch innerhalb der EU gewisse Unterschiede gibt. Ich gehe einen Schritt weiter und behaupte, dass es eine Ausbildung und Prüfung auf unserem gewohnten Niveau nicht in allen Ecken von Europa geben kann.

Wie schaut es aus, wenn man später vielleicht doch wieder sein eigenes Ding machen will, weil Made in Germany durch Glattbügeln seinen internationalen Ruf eingebüßt hat und die Industrie aufgrund dessen aufständisch wird? Bekommt man dann als Bachelor Professional 1:1 einen Meisterbrief ausgehändigt oder muss man dann wieder vor ein Prüfungsgremium, weil einige Meisterprüfungs-Themen in der Prüfung zum Bachelor Professional gefehlt haben?

Im Studium schaut es doch ähnlich aus: Es gibt den Bachelor und den Master, das Diplom aber scheinbar nicht mehr. Ein Staatsexamen macht wohl auch kaum noch jemand.

Eigentlich schade, weil gerade das doch die dicken Aushängeschilder der Ingenieure, Mediziner und Juristen waren, oder?

Viel wird geschrieben über die Mindestvergütung. Die können sich aber häufig nur Industrie-Betriebe leisten, sodass Schneider und Friseure (stellvertretend für kleinere Handwerksbetriebe) wahrscheinlich auf der Strecke bleiben werden. Vielleicht verzichtet man ja bald auf die Meisterpflicht beim Friseur, um dann wieder hinten rum den internationalisierten Standards gerecht zu werden. Auf Nebenschauplätzen diskutiert man die Möglichkeiten zur Einsparung von Prüferressourcen, die Teilzeitausbildung ist auch ein spannendes Thema. Die Verkürzung der Ausbildungsdauer gehört ebenso auf den Tagesplan, wie die Entlastung von Ausbildungsbetrieben und ein Zusammenfassen von Datenflüssen.

Aus meiner Sicht ist das alles ein BWL-verwöhntes Getue zum internationalisierten Kantenglätten. Das passt nicht, das ist kontraproduktiv.

Und das in gerade dieser Zeit, in der die ganze Welt extrem verrückt spielt, das Schulsystem verschlimmbessert wurde und unsere Industrie-Giganten wanken.

Bildungsministerin Karliczeck fordert: "Mittelmaß ist nicht unser Anspruch!" - aber die Pisa-Studie bescheinigt etwas anderes.

"Phonetisches Schreiben"... so ein Blödsinn! Da sind die Wurzeln, da müssen wir anpacken - das internationale Blabla muss halt mal ein wenig warten. Ich bin entschlossen gegen Weichspülen, Internationalisierung (so sie etwas mit Weichspülen zu tun hat) und Gegner von Konsens (so er was mit Weichspülen zu tun hat).

Jetzt geht's noch an eine unserer letzten Domänen: das Handwerk.

Was passiert also bei der nächsten Reform, wenn nach einem großen Knall wieder Handwerksmeister und diplomierte Ingenieure gefragt sein sollten? Der mögliche Schritt dazu (also der Schritt zurück) ist im Gesetzestext (nach grobem Überfliegen) jedenfalls nicht beschrieben.

So steht es fachlich um unsere oberste Führung:

Kanzlerin: Physikerin
Finanzminister: Jurist
Innenminister: Verwaltungswirt
Außenminister: Jurist
Wirtschaftsminister: Jurist
Justizministerin: Juristin (-> Treffer!)
Arbeitsminister: Politologe
Verteidigungsministerin: Juristin und Politologin (-> Treffer!)
Ernährungsministerin: Politologin
Familienministerin: Verwaltungswirtin
Gesundheitsminister: Bankkaufmann
Verkehrsminister: Politologe, Wirtschaftler und Soziologe
Umweltministerin: Politologin und Germanistikerin
Bildungsministerin: Hotelkauffrau und Betriebswirtschafterin
Entwicklungsminister: Pädagoge, Politologe
Kanzleramtschef: Mediziner (???)

Da: https://www.bundesregierung.de/breg-de/b.../bundeskabinett

Einige Posten würde ich gerne aufgrund der Vor- und Ausbildung untereinander tauschen wollen. Zwei von 16 möglichen Treffern ist jetzt nicht so der Hammer. Warum ist der Mediziner nicht Gesundheitsminister? Warum ist der Bankkaufmann Gesundheitsminister und nicht nicht Finanzminister?

Die Kanzlerin hat aufgrund ihrer Jahre ein international stabiles Vertrauen und Gewicht, das ich nicht unterschätzen möchte! Ob ich nun persönlich mit allem zufrieden bin oder nicht... das klappt eh nicht. Muss es auch nicht. Aber dieses Hin und Her und Rauf und Runter, wie es z.B. die Amis alle paar Jahre aufgrund ihrer Verfassung machen müssen, wollte ich hier nicht sehen!

Kante zeigen ist gefordert, sonst bleibt uns bald tatsächlich nur noch dichten und denken. Und wünschen und hoffen.