Ich habe eine sehr seltene und frühe elektrische Uhr aufgetan.



Von außen kann man schon erkennen, dass es sich – wie fast immer bei mir – um eine elektrische Uhr handeln muss. Die Intarsienarbeit auf der Front zeigt eine Sanduhr, aus der Blitze kommen. Die Uhr ist ein englisches Fabrikat, wobei man kaum von einer Serienproduktion sprechen sollte. Der Hersteller nennt sich „Coventry Electric“, wobei diese Uhr nicht in der Stadt Coventry gebaut wurde, sondern in London von T. Rushton, der auch ein Patent auf diese Uhr bekommen hat (DE326380: „Elektrische Uhr, die in Zeiträumen vermittels eines Motors durch eine längsverschiebbare Schnecke aufgezogen wird, deren Bewegung den Stromkreis des Motors steuert“). Das englische Patent kommt von 1913, die Uhr ist für eine elektrische äußerst früh. Der Kleinhersteller hat maximal 100 Uhren gebaut, von denen es nur noch eine Handvoll gibt. Bekannt sind 3 Stück. Diese Uhr ist die Nummer 33.



Das Uhrwerk ist ziemlich kompakt und besitzt ein Echappement, welches wie bei einer Reiseuhr oben auf dem Uhrwerk angeordnet ist.





Das Echappement ist wie die Uhr ein englisches Fabrikat, obwohl man unschwer die Kolbenzähne des Hemmungsrades erkennen kann. Aber der Anker ist im Winkel angeordnet. Außerdem besitzt die Unruh nur eine einfache Rolle und einen runden Hebelstein. Auch sind die Ankersteine gefasst, wie bei englischen Taschenuhren dieser Zeit.
Und jetzt zum kuriosen Aufzug des Uhrwerks:



Das Bild zeigt das Uhrwerk von innen, zerlegt und Richtung Rückplatine aufgenommen. Hier sieht man die im Patent erwähnte längsverschiebbare Schnecke. Mittig sitzt das Minutenrad, mit 1 ist die Zugfeder (!) bezeichnet. Sie besteht nur aus einer kleinen Blattfeder. Beim Aufziehen der Uhr mithilfe eines Elektromagneten dreht sich die Schnecke, sowohl Welle als auch Rad bewegen sich in Richtung 2. Dabei wird die Feder 1 gespannt und treibt danach wie bei einer Zahnstange das Schneckenrad wieder nach links (3) und damit das Minutenrad. Nach einer Weile verschiebt sich das Schneckenrad so weit nach links, dass sich der Kontakt bei 4 schließt und die Uhr wieder aufzieht. Der Aufzugvorgang wiederholt sich alle 15 bis 20 Sekunden.



Das Bild zeigt die andere Platine mit dem elektromagnetischen Aufzug. Wenn der Kontakt geschlossen wird, bewegt sich der schwarze Anker nach unten in Richtung auf die Spulen und spannt die Drahtfeder ganz rechts. Dabei wird der Kontakt 5 geöffnet, und der Anker bewegt sich wieder nach oben. Er dreht mit der Rastfeder 6 das Schneckenrad von oben, die Uhr wird aufgezogen.
Ein Problem bei elektromagnetischen Aufzügen ist, dass es einen Öffnungsfunken am Kontakt gibt, der ihn in kürzester Zeit ruiniert, so dass die Uhr stehen bleibt. Man kann ihn einfach unterdrücken, indem man parallel zu den Spulen einen Widerstand schaltet, der den ca. 10 bis 15fachen Widerstand der Spulen hat. In diesem Fall sieht man den Widerstand deutlich, er ist das handgewickelte Knäuel aus seidenumsponnenem Widerstandsdraht, der mit Schelllack auf den Spulen aufgeklebt ist 7.



Man sieht hier bei abgebautem Echappement den äußerst kompakten Aufbau des Uhrwerks.



Dieses Bild zeigt den experimentellen Charakter der Uhr. Man kann hier 3 Bohrungen erkennen, die einmal zugefüttert wurden, weil Lager irgendwo anders angebracht wurden. Auch auf der Zifferblattseite sieht man die entsprechend entfernten Bohrungen. Wurde eventuell einmal an eine Pendeluhr gedacht und nachträglich das Uhrwerk umgestrickt? Mir ist so etwas auch schon mehrfach bei Taschenuhren aufgefallen. Einmal an einer englischen TU mit niedriger Nummer und Massey-Hemmung. Und ein anderes Mal, bei dem offensichtlich schon vom Hersteller ein Spindel-Rohwerk zu einer Uhr mit Komma-Hemmung gebaut wurde.



Erstaunlicherweise lief die Uhr sofort beim Versorgen mit 3 Volt. Und das nach bestimmt mehr als 50 Jahren Stillstand und ohne, dass es nötig war, an den zahllosen Stellschrauben zu drehen.



Im Unterteil der Uhr befindet sich ein Hohlraum für die Batterie. Daher gibt es jetzt dazu das entsprechende Batteriefach, und die Uhr läuft ganz einfach mit 2 Monozellen und 3 Volt.

Im Vergleich mit den wenigen anderen Uhren dieses Typs wird deutlich, dass die Zeiger nicht original sein können. Daher werden die entsprechenden Zeiger noch hergestellt und ergänzt. Dazu später mehr.

Frank

Danke für die Vorstellung dieser außergewöhnlichen Uhr.
Der Aufzug erinnert mich ein wenig an die Klappanker-Uhren, die von einigen deutschen Herstellern gebaut wurden. (z.B. Emes, Dugena, Hettich) Die Lösung mit der verschiebbaren Schnecke ist eine verblüffend einfache Variante.

Roland

Hallo

Sehr schöne Uhr und sehr interessantes Werk.
Eine Spekulation, eventuell ein Gesellenstück oder Schuluhr?
In der Uhrmacher Fachschule Karlstein (Österreich) wurden in den 60/70ern als Schülerprojekt kleine mechanische Standuhren auf Elektroantrieb umgebaut.
Die sehen aber von der Form anders aus als Deine.

Gruß hermann

Tolles Ding, Glückwunsch! Da sieht das Innenleben spannender aus als die Uhr an sich (oder ist das nicht eh oft so?) :)

Das Design der Intarsien schaut jedenfalls schon recht nach Elektrizität und Blitzen aus. Gab ja auch elektromechanische Armbanduhren mit dem "Blitz" am Zifferblatt. Und nachdem in der Mitte der Blitze die Sanduhr ist, weist das mE schon darauf hin, dass es von Beginn an eine "elektrische Uhr" war?

Frank, tolle Uhr mit ihrem interessanten Inneren. Danke für deine ausführliche Beschreibung

Ein wahrhaft edles Stück! Wo hast du das aufgetrieben? Danke fürs zeigen! Die Konstruktion ist ziemlich einfach und genial!

Schon eine seltene Uhr und gewiss kein Schulungsstück. Aufgetrieben? Man kennt seine Elektrouhrensammler, und ab und an bekommt man einen Tipp. Diesmal war es ein Auktionshaus in England. Und - leider - wussten das auch andere Elektrouhrensammler. Da diese Uhren aufgrund der Seltenheit und eigentümlichen Konstruktion gefragt sind, war sie nicht gerade ein Sonderangebot.

Jetzt hat sich herausgestellt, dass die Uhr pro Tag schlappe 15 Minuten vorgeht. Und das liegt nicht an einer zu kurzen Spirale. Es hat sich herausgestellt, dass das Kronrad einen zu kurzen Zahn hat und dann einen kleinen Sprung macht. Entweder muss ich den Zahn strecken oder ihn ersetzen. Leider ein Kronrad und kein Stirnrad, was die Sache etwas komplizierter macht. Wahrscheinlich muss ich mir einen Amboss bauen, um den Zahn strecken zu können. Flach auflegen geht nicht. Es geht also weiter. Aber das dauert, habe momentan wenig Zeit. Unser Auto muss repariert werden, und das ist auch immerhin 50 Jahre alt.

Frank

Tolle Sache diese Elektrouhren. Und die alten Autos! In meiner Arbeit beweg ich mich ständig zwischen ihnen!:-) Von Silberpfeil bis Puch 500. Mein Favorit: Ford Model T!

O T: In diesem Fall: VW Typ3, auch VW 1600 genannt.

Frank

Es geht weiter:
So, der Kronradzahn ist auch ersetzt. Strecken wollte nicht so richtig klappen, wenigstens nicht um das Maß, das fehlte. Also den Zahn komplett weggefeilt, an seine Stelle eine Bohrung von 0,3mm gesetzt und einen Messingstift eingeschlagen. Vorteil: Kein Löten nötig.



Nur noch gekürzt, die Zahnform hergestellt und die Gegenseite, wo der Stift durchschaute, verschliffen. Läuft tadellos.

Jetzt geht es an den Zeiger.

Frank

Zitat von Typ1-2-3 im Beitrag #12

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... Bohrung von 0,3mm gesetzt und einen Messingstift eingeschlagen.

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Hallo

Da muss ja die Uhr Zeit ihres "Lebens" schon so ungenau gelaufen sein und noch nie hat sich jemand ihrer angenommen - bis jetzt.
Interessant wäre für mich auch der "Ausgangszustand" des Zahnes gewesen, hast Du da evtl. auch noch ein Bild.

Frank

Leider nein. Der Zahn war an der Oberseite einfach flach. Die Zylkoide fehlte einfach. Feilstriche waren nicht zu sehen, und die Nachbarzähne waren auch nicht beschädigt.

Frank