Achtung Hobbyist: Drehen einer Unruhwelle mit dem Handstichel

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#1 | Achtung Hobbyist: Drehen einer Unruhwelle mit dem Handstichel - Kritik erwünscht datum

22.04.2022 21:40

Ich möchte heute mal die Hosen runterlassen und auf meinem Hobbyniveau zeigen, wie ich eine Unruhwelle drehe. Dabei fordere ich ausdrücklich dazu auf, mir schamlos mitzuteilen, wo es noch Optimierungsbedarf gibt oder wo ich vielleicht einfach nur Mist baue. Ich hab mir das alles hier bei Profis und Semi-Profis erfragt und auf schlauen Youtube-Kanälen zusammengeglotzt.

Meine Maschine ist eine Boley R8 mit Flume F53 Schwerfuß und einem alten jaulenden Multifix-Motor. Der Patient ist ein Molnija 3602. Ich hörte, da wird wohl gerne dran geübt, weil es relativ leicht aufzutreiben ist. Auch auf meinem Tisch liegen seit längerer Zeit zwei Molnijas mit gebrochener Unruhwelle, die ich von einem lieben Hobby-Kollegen zum Üben geschenkt bekam. Das hier ist eine Savonette. Die hätte ich gern am Laufen, weil das Werk eins von den älteren, schickeren ist, wo sie noch die Kanten gerundet haben und das Zifferblatt aus Metall ist.

Zuerst habe ich die Maße der alten Welle genommen. Die Gesamthöhe nahm ich mit einem Zehntelmaß an den Lagersteinen (natürlich ohne Decksteine) ab. Mir bricht jetzt hier schon ein bißchen der Schweiß aus, wenn ich dran denke, wie die Profis das lesen und in den Verzeichnissen nachsehen... "Das soll ne Molnija UW sein? Wat hat der denn für Maße abgelesen? Hat der jesoffen?"...
Ich bringe zu meiner Verteidigung vor: Das ist nicht die erste Molnija-UW, die ich nach den Maßen drehe. Die vorherigen Versuche haben ganz gut gepasst, hatten aber immer irgendwelche Fehler. Bei einer hatte ich den Feintaster tatsächlich falsch abgelesen, bei der letzten hatte ich beim Finishen am unteren Zapfen zuviel weggenommen, so dass das Plateau zu tief saß und es Probleme mit dem Anker-Eingriff gab.

Also ging ich erneut ans Werk und dachte, ich halte mal die Kamera drauf und lass mich von denen, die es können, mal so richtig maßregeln.
Also, hier meine Maße...

Dann gehts los... ich drehe den Unruhteller von der alten Welle ab. Noch ein Geständnis: Wie das so ganz genau geht, habe ich trotz des Konsums zahlreicher Youtube-Videos nie richtig kapiert. Ich mache es so, wie es mir richtig vorkommt: Ich drehe dicht am Spiralrollen-Ansatz mit einem spitzen Stichel stückweise rein und gehe vorsichtig nach außen, bis vom Teller idealerweise ein hauchdünner, ringfömiger Rest übrig bleibt, der entweder von alleine wegfliegt oder sich einfach durch Ziehen am Reif ganz leicht löst.

In diesem Fall flog nicht nur der Ring-Rest weg, sondern der Reif wollte ihm am liebsten gleich nachfolgen... locker vom Hocker...

Jetzt kommt das Rohmaterial, bei mir gebläuter Tamponstahl, in diesem Fall Durchmesser 2mm. Ich drehe nach unfassbar vielen Versuchen mit dem Kreuzsupport mittlerweile total viel mit dem Handstichel, weil ich das Gefühl habe, schneller zu sein. Zum Beispiel, wenn der Stichel nachgeschliffen werden muss.

Ich stelle die Auflage ein, dass der Stichel einigermaßen zentriert zu liegen kommt. Ich habs im Zweifel lieber einen Hauch zu tief als zu hoch, weil man weniger Gefahr läuft, dass man den Winkel zu arg korrigieren muss und der Stichel dann unter das Werkstück gezogen wird. Auch so ne Gefühlssache, zu der ich kein fundiertes Wissen nachweisen kann. Ich nutze übrigens eine 10x Klemmlupe von Selva, die ich mir rechts auf die Lesebrille schnalle. Ich gucke also Mono von oben und hänge wie ein krummer Aasgeier über der Drehbank. Haare habe ich keine, also kann auch nichts in den Spindelstock hängen. Also bis jetzt ist alles gut gegangen.

Der Rohstahl ist immer unrund. Ich schlichte den zu drehenden Bereich, bis ich keine Vibration mehr spüre, und drehe das Ende plan.

Dann etwas wasserfester Marker, damit ich Markierungen setzen kann.

Der Support kommt zum Einsatz beim Markieren der Maße. Der Vorbesitzer hat einen Messing-Vierkant angebracht, so dass man den Feintaster anlegen kann. Davon waren übrigens zwei beim Kauf dabei.

Ich markiere die Gesamthöhe sowie die Dicke und Position des Unruhtellers.

Dann stelle ich mit der Messschraube das erste angepeilte Maß ein (zuerst mal mit 0,1 mm Übermaß): Der Durchmesser der Vernietung des Unruhreifs.

Wir nähern uns. Ab jetzt nehme ich Maß, indem ich immer mal wieder probiere, wie der Reif passt... hier noch nicht ganz...

... noch ein paar Späne runtergepellt, und er sitzt... für meinen Geschmack vielleicht einen Hauch zu leicht. Wird es funktionieren?

Ich hoffe es... ich drehe das nächste Maß, den Durchmesser des Spiralrollen-Ansatzes. Wieder kommt die Messschraube zum Einsatz. Die Höhe der Vernietung drehe ich erstmal mit Augenmaß und korrigiere sie dann nach unten.

Ich drehe dann die Unterstechung für die Vernietung ein. Dafür habe ich mir einen spitzen Stichel angefertigt, dessen Ausgangsmaterial aufgrund meiner Unerfahrenheit leider so kurz gewählt wurde, so dass ich die Kassette des Schnellwechselhalters als Griff benutze. Bescheuert, aber tut seinen Zweck.

Und hier entferne ich mich wahrscheinlich von der "wahren Lehre" - für den Zapfen drehe ich einen Ansatz, der so dünn ist, wie ich mich mich mit dem Stichel traue. Meistens irgendwas um die 0,3 mm.

... und mache den Rest mit einer Degussit-Feile. 0,15 mm Zapfendurchmesser ist das Ziel. Die Feile hat ein leicht abgerundetes Profil, so kommt auch eine Art Zapfenschulter zustande.

Am Ende wieder mit dem Stichel: Der Ölstopp. Wurde mir mal gesagt, dass das auf der Seite wichtig sei, damit kein Öl auf die Spirale läuft. Ich nehm das mal so hin. So richtig toll ist dieses Ende der U-Welle nicht geworden, aber ich hoffe, dass die Spiral-Rolle hält.

Auch nicht oldschool - ich drehe ab und spanne um. Ich habe festgestellt, dass meine 0,6er Spannzange schön rund läuft. Deswegen mach ich es so...

Das sind Späne, wie ich sie mag. An manchen Tagen ist bei mir der Wurm drin. Bei euch auch? Der Stichel ist scharf, aber ich komm nicht richtig rein ins Material, ich quietsche rum, ich poliere, finde den Winkel nicht, produziere nur Staub, eine einzige Quälerei... aber heute, da zischt es richtig gut. Guter Tag.
Sagt mal, tragt ihr eigentlich einen Mundschutz beim Drehen? Meine Freundin sagt immer, ich soll. Aber muss das? Also beim Schleifen ja, aber beim Drehen? Ich trag ja keinen, weil ich denke, sowas ist wohl zu grob zum Einatmen.

So, es wird umgespannt und ich drehe die Unterlänge. Gleiche Methode wie oben: Messschraube, Zielmaß plus 0,1 einstellen, annähern... mit der Degussitfeile kriege ich den konischen Ansatz eigentlich immer ganz gut hin. Man sieht ja prima auf der Feile, wo Material wegkommt. Und immer wieder das Plateau aufsetzen, um zu probieren, und dann wieder ein bisschen feilen, probieren...

... und hier steckt es. Ich muss echt mit der Degussit-Feile aufpassen und mich zügeln, die nimmt ganz schön was weg. Für meinen Geschmack auch hier ein Stückchen zu weit, aber ich denke, es wird stramm genug sitzen.

Die Überlänge wird abgenommen... leider kein Foto: Zum Maßnehmen benutze ich hier eine kleine Gümmer-Messschraube, so kann das Werkstück eingespannt bleiben. Dann wird auch hier der Zapfen mit dem Stichel vorgedreht und mit der Degussit-Feile auf 0,15 mm geschliffen.

Fertig. Jetzt wird der Unruhreif aufgenietet.

Ich nehme einen Rundpunzen mit Bohrung, um den Rand der Unterstechung nach außen zu drücken...

... und einen Flachpunzen mit Bohrung, um den Rand umzustülpen und flachzuklopfen.

Ich teste die Vernietung, indem ich den Punzen runterdrücke und am Unruhreif drehe. Wenn ein deutlicher Widerstand zu spüren ist, sitzt die Vernietung fest.

So weit, so gut. Jetzt muss noch rolliert und arrondiert werden. Und ich bin gespannt, ob die Spiralrolle hält.

Dies ist keine Anleitung, sondern das Werk eines Hobbyisten! Ich stelle mich und bitte um schonungslose Kritik!

Grüße aus Berlin,
Ingo
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