Einleitung
Anfang 2015 erwähnte ich in einem Beitrag meine Grashopper-Uhr und wurde gebeten, sie doch einmal vorzustellen.
An der Uhr war einiges zu tun, das Einregulieren brauchte viel Zeit, und so kann ich erst heute der damals geäußerten Bitte nachkommen.

Man sucht man etwas in einem Lexikon, stößt auf etwas anderes interessantes und landet schließlich völlig woanders. So ähnlich erging es mir, als ich in der Bucht stöberte und auf eine Uhr mit Grashopper-Hemmung stieß.

Die Uhr sah dekorativ aus und würde auf ein kleines, vorhandenes Schränkchen im Wohnzimmer passen.
Wie üblich, suchte ich nach ähnlichen Uhren, um ein Gefühl für übliche Preise zu bekommen. Dabei stieß ich auf ein Angebot mit einer Uhr, die bessere Qualität (vergoldet statt nacktes Messing) und sogar einen geringeren Preis hatte.
Das Bild habe ich ausgedruckt und meiner Frau gezeigt. Ihr Kommentar: "oh, die sieht aber hübsch aus." (= Freigabe für Kauf)

Wenige Tage später kam das riesige Paket an.

(Jetzt geht's los)

Verpackung
Die Versandverpackung ist Post-tauglich. Die Komponenten Uhr und Glashehäuse sind in zwei getrennten Kartons verpackt. Jeder Karton besitzt eine mehrere Zentimeter dicke passgenaue Auspolsterung aus einem mittelfesten Schaumstoff.
Das Glasgehäuse ist innen mit Schaumstoffklötzen abgestützt. Die Gegenpendel des Uhrwerks sind mittels Holzbrettchen und rotem Schleifenband fixiert. (Das rote Band lässt auf asiatische Herkunft der ungemarkten Uhr schließen.)
Die zwei Kartons stecken mit saugender Passung in einem stabilen Umkarton.

01 vlv.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Grundaufbau
Die Uhr ist als Skelettuhr mit einem stabförmigen Werksaufbau gestaltet. Als Vorbild diente (mit sehr geringer Ähnlichkeit) die H1 von John Harrison.
https://de.wikipedia.org/wiki/John_Harrison_(Uhrmacher)

02 vvl ohne Haube 2.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Auffällige Kennzeichen der H1 sind zwei mechanisch gekoppelte, gegenläufig schwingende Drehpendel und die von Harrison entwickelte Grashopper-Hemmung.
Das Uhrwerk steht auf einem Kasten mit streifenfförmigen Intarsien-Verzierungen.
Eine kleine Schublade ermöglicht die Unterbringung des Aufziehschlüssels.

03 Schublade 2.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Die Staubschutzhaube ist fünfseitig verglast und wird von Metallwinkeln zusammen gehalten. Frontseitig befindet sich eine Tür.

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04 ZB.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Zur die Zeitanzeige dient ein emaillierter Ziffernreif mit römischen Zahlen und einer feinen Minutenteilung am Außenrand. Die schwarzen Zeiger mit traditionellem "Antik-Schnitt" sind allerdings vor den Uhrwerksteilen schwer zu erkennen.

05 ob ZB vv.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Darüber ist ein halber Ziffernreif für die Sekundenanzeige angebracht. Als Zeiger kommt ein Stern mit drei Spitzen zum Einsatz. Darauf komme ich später zurück.

Uhrwerksantrieb
Für den Antrieb des Uhrwerks kommt ein System Federhaus+Schnecke zum Einsatz. Der Durchmesser der Schnecke reicht von 25 bis 40 mm, der des Federgehäuses beträgt 63 mm.
Die Kraftübertragung übernimmt ein viel zu dickes Stahlseil.

06 Seiltrommel vv.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) 07 Seiltrommel vr.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Die Schnecke hat Platz für 14-15 Windungen, erlaubt also theoretisch eine Gangdauer von 7 Tagen.
Zwischen Federhaus und Schnecke befindet sich ein Hebel. Er wird beim Aufzugsvorgang nach links gedrückt und begrenzt schließlich das Aufziehen, weil die Kante eines schneckenförmigens Blechs an der dünnen Seite der Schnecke gegen den Hebel stößt.

Wegen des recht schlechten Wirkungsgrads dieser Uhr hat man die Feder sehr kräftig bemessen.
Die Breite des Federhauses beträgt fast 4 cm.

Auf der Vorderseite der Federwelle befindet sich ein Gesperr ohne Sperrfeder. Unter der konischen Hülse verbirgt sich der Vierkant, mit welchem die Feder vorgespannt wird.
Dieser Vierkant hat eine andere Größe als der Aufzugsvierkant. Wer weiß, was den Entwickler dazu veranlasst hat.

Hemmung
Die Hemmung ist, wahrscheinlich zur Senkung der Herstellungskosten, sehr stark vereinfacht. Beide Paletten sind einteilig, L-förmig und getrennt voneinander drehbar in jeweils einem zylindrischen Körper gelagert, der auf der Welle eines Pendels sitzt.

08 li Palette vl.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Die linke Palette ist relativ lang. Ihr unteres Ende wird benötigt, um die Palette im Moment der "Auslösung" nach oben vom Gangrad abzuheben.

09 re Palette vv 2.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Dagegen konnte die rechte Palette kürzer gestaltet werden, weil sie bei der Auslösung nur nach unten fallen muss.

In den Haltezylindern der Paletten sind dünne Flachfedern aus Bronze angebracht. Sie haben zwei Aufgaben:
- Rückfall der Palette geräuschfrei dämpfen.
- Position des Paletteneinfalls auf dem Gangradzahn festlegen.

Durch Verdrehen der Haltezylinder werden sowohl der Zeitpunkt (Pendelwinkel) des Paletteneinfalls als auch die Palettenposition auf dem Gangradzahn bestimmt. Aus diesem Grund ist es sehr mühsam, die Hemmung zu justieren.
Wie spätere Untersuchungen ergaben, hat die Justierung entscheidenden Einfluss auf das Gangverhalten. Dazu später mehr.

Pendel
Genau genommen, dienen bei dieser Uhr nicht zwei Pendel, sondern zwei Unruhen als Gangregler, denn die Pendelstäbe sind genau in ihrer Mitte an der Pendelwelle befestigt. Dadurch gibt es kein von der Schwerkraft abhängiges Rückstellmoment.
Doch wie kann man den Gang regulieren? Ein Blick auf die Rückseite liefert die Antwort.

10 Werk vh Mitte.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Hier befinden sich nicht nur die Zahnsegmente, durch die beide Drehpendel gekoppelt sind, sondern auch Gewindestangen mit verstellbaren Abgleichgewichten in Form von Rändelmuttern.
Weil die Gewindestangen bedeutend kürzer sind, als es die Pendelfrequenz (ca. 0,5 Hz) für ein Standardpendel sein müsste, gilt auch hier:
Eine Verstellung der Einstellmuttern nach unten macht die Uhr schneller!

Räderwerk
Da ich schon kurz nach dem Erwerb der Uhr das Gesperr an der Schnecke reparieren musste, hatte ich Gelegenheit, das Räderwerk zu analysieren.

Zähnezahlen im Gangwerk

Sehr interessanter Bericht! Danke für deine Mühe!
Ich sehe solche Uhren oft in Leipzig auf den monatlichen Flohmarkt, hatte auch schon mit den Gedanken gespielt, so eine Uhr zu erwerben.
Deine Uhr ist wirklich ein Hingucker, weil vergoldet.
Aber leider steckt der Teufel im Detail...

Bei der starken Feder halte ich die Stärke des Stahlseiles für angebracht.
Dass der Vierkant für die Vorspannung der Feder stärker ist, hat vielleicht den Sinn, dass nicht ausversehen dort die Uhr "aufgezogen" wird.

LG Thomas

Lieber Roland

Da kann ich mich dem Michael des Lobes anschließen.
Einfach schön anzusehen.
Das würde mir persönlich auch sehr viel Freude bereiten, sowas einmal revidieren zu dürfen... da könnte man noch einiges dazulernen.
Danke fürs zeigen und für den ausführlichen, interessanten Bericht.

LG Giacumin

Zitat von masterpiece im Beitrag #3

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Sehr interessanter Bericht! Danke für deine Mühe!
Ich sehe solche Uhren oft in Leipzig auf den monatlichen Flohmarkt, hatte auch schon mit den Gedanken gespielt, so eine Uhr zu erwerben.
Deine Uhr ist wirklich ein Hingucker, weil vergoldet.
Aber leider steckt der Teufel im Detail...

Bei der starken Feder halte ich die Stärke des Stahlseiles für angebracht.
Dass der Vierkant für die Vorspannung der Feder stärker ist, hat vielleicht den Sinn, dass nicht ausversehen dort die Uhr "aufgezogen" wird.

LG Thomas

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Danke für das viele Lob.

Zitat von Mahlekolben im Beitrag #2

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Wahnsinn!
Vielen Dank für die Mühen, hier so einen tollen und umfangreichen Bericht mit ebenso tollen Bildern einzustellen!
(Ein absolutes Highlight wäre jetzt noch ein kleines Video, damit man die Grashüpfer in Bewegung sehen kann...)
Hammer!

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Schön anzusehen in der Tat, aber leider von chinesischer Qualität. Wenn dann noch die Zapfen einlaufen weil der Stahl nicht richtig gehärtet ist und andere Probleme auftreten...

Ein Vereinskollege hatte ein chinesisches Tourbillon Gangmodell. Das hat dann immer mehr abgebaut und wollte dann irgendwann nicht mehr so richtig. Für mich sah es nach eingelaufenem Zapfen aus oder einem Lager, entweder von Unruh oder wahrscheinlicher vom Drehgestell aus, denn auf den Kopf gestellt lief es wieder gut. Ich bin gespannt darauf die Diagnose zu erfahren wenn der jetzige Besitzer es repariert hat.

Und für den Ärger sind diese Skulpturen dann imo zu teuer, zumal nicht jeder die Möglichkeit hat sie dann wieder instand zu setzen.

Gruß
Norbert

Danke für den informativen Bericht!



Ich hab auch schon mal an so was gedacht und weiss jetzt schon mal worauf ich achten muss.

LG Karl

Zitat

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bewegliche Skulptur im Uhrenstil

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das bringt es auf den Punkt!

Vor allem in der vergoldeten Variante sind solche Skulpturen immer schön aunzuschauen, auch wir haben welche chinesischer Herkunft weil die Originale zwar in unser Beuteschema aber schlichtweg nicht in unser Finanzschema passen.

Schöner Beitrag!

In meinem Beitrag habe ich die Angabe einiger Maße vergessen. Das hole ich hier nach:

Abmessungen gesamt (BHT in mm): 343x485x243
Glashaube (BHT in mm): 310x395x218

Werkplatten: max. 185 mm breit, max. 310 mm hoch
Stellmaß: 52 mm

Länge der Pendel über alles: 280 mm

Zifferblatt Durchmesser: 105 mm

Roland