Wälzlager sind eine Wissenschaft für sich. Im ersten Moment freut man sich über die billigen einfachen Hi-Tec Teile, aber bei genauerer Betrachtung muss man so viel berücksichtigen, dass der Einsatz in Uhren fragwürdig wird. Nachfolgend ein paar ungeordnete Gedanken:
Was hier unter "Keramikkugellager " firmiert sind fast immer Hybridlager, bei denen nur die Kugeln aus Siliziumnitrid sind. Das ist eine gute und bewährte Kombination. Reine Keramiklager sind sehr selten. Das Material sagt allerdings nichts über die Fertigungsqualität aus.
Hybridlager sind relativ unempfindlich gegen Mangelschmierung, weil es weniger leicht zum Mikroverschweissen der Oberflächen kommt. Trocken würde ich sie trotzdem nicht laufen lassen. Da Lager mit Dichtscheiben (RSR, RS oder 2RS) mit schleifenden Dichtungen versehen sind kann man sie in Uhren fast prinzipiell vergessen. Lager mit Deckscheiben (Z, ZZ, 2Z) haben berührungslose Blechscheiben, sind aber auch for life geschmiert. Da ist es schwierig, die Fettfüllung auszuwaschen und durch Uhrenöl zu ersetzen.
Ich würde eher offene Lager verwenden, sauber auswaschen und mit Uhrenöl schmieren. Am besten wäre natürlich dann noch eine separate Abdeckung gegen den Staub.
Die Fertigungsqualität ist hinsichtlich Laufeigenschaften sicherlich viel wichtiger als die Materialpaarung. Sehr schwer sowas zu beurteilen, zumal alle großen Hersteller Massenware sowieso in China produzieren. Ein rostfreies Lager würde ich eher nicht nehmen. Der Stahl ist fast sicher schlechter.
Wahrscheinlich ist gegen ein normales Stahllager eines namhaften Herstellers nichts zu sagen. Die Rotorlagerungen der meisten Automatikwerke sind technisch auch nichts anderes.
Besonders möchte ich allen Kugellageraspiranten die Montage ans Herz legen: Kleine Kugellager sind sehr viel empfindlicher als sie aussehen. Beim Auf- oder Einpressen muss streng darauf geachtet werden, dass keine Kräfte über die Kugeln geleitet werden! Ein kleiner Druck auf den falschen Ring, und es gibt eine mikroskopische Delle im Laufring über die dann jede Kugel hoppelt. Uhrmacherübliche Gleitlager mit 10% Spiel sind da Trakorteile dagegen.
Die Einbausituation muss die Wärmedehnung von Messinggehäuse und Stahlwelle berücksichtigen. Keine überbestimmte Lagerung, sondern Fest- Loslageranordnung. Zulässige Winkelabweichung meist ca. 3 Minuten! Da ist es konstruktiv gar nicht so einfach, stets eine axial-kraftfreie Lagerung und damit konstante Reibungsverhältnisse hin zu bekommen.
. Viele Grüße von Coloman, der natürlich nicht ich ist.
Zitat von Enno im Beitrag #15[quote]Daher will ich bei meiner Uhr für den Anker mal eine Alternative zu Steinlagern testen: Buchsen aus Kunststoff-Gleitwerkstoff. Ich habe mir von IGUS dazu etwas Iglidur-J besorgt, das hat eine Reibung wie ein gutes und geöltes Messinglager, wird aber ohne Schmierstoff verwendet.
Iglidur J ist ein tolles Matrial, da habe ich schon öfter sehr schöne Teile draus gemacht. Ein paar Punkte muss man aber berücksichtigen: Iglidur-J ist ein gefüllter Kunststoff. D.h. er ist nicht homogen, was bei sehr kleinen Teilen zu unvorhersehbaren Abweichungen der Eigenschaften führt. Er lässt sich nicht besonders gut in sehr feinen Konturen bearbeiten. Hier braucht es perfekt scharfe Schneiden mit stark positivem Spanwinkel. Geschmiert läuft auch Iglidur-J besser als trocken. Ich nehme Silikonfett. Der Gleitreibungskoeffizient ist bei kleiner Flächenpressung relativ hoch. Vorteilhaft ist der kleine Unterschied zwischen Haft- und Gleitreibungskoeffizient. Stichwort geringer Stick-Slip. Sticht das bei deiner Anwendung? Das Material fließt mit der Zeit unter Last etwas. Sehr exakte Lagerungen sind nicht seine Stärke.
Ich würde in summa sagen, Iglidur-J ist für hochwertige Uhrenlagerungen eher nicht geeignet. Wenn überhaupt, dann für wirkliche Großuhren, keinesfalls als Ersatzfür einen Lagerstein
. Viele Grüße von Coloman, der natürlich nicht ich ist.
Zu dem Thema haben wir mal Hersteller rausgesucht. Entsprechende Kugellager auch für Sekundenpendeluhren gibt es zu kaufen. Entsprechende Hersteller wurden auch schon vorgestellt.
Irgendwie widerstrebt es mir, Kugellager in Uhren zu verwenden. Das hat aber eher historische Gründe. Daß Kugellager bei guter Fertigung der Uhr wesentlich weniger Lagerreibung haben, bekam ich vor einem Jahr vorgeführt.
Da wurden drei gleiche Pendel mit Messinglager, Steinlager und Kugellager zwischen zwei Platinen gelagert. Bei gleicher Startauslenkung lief das "Kugellagerpendel" um ein Vielfaches länger als Messing- und Steinlager. Der Unterschied zwischen Messing- und Steinlager war auch geringer als von mir erwartet.
Ich habe die Zeiten damals nicht gestoppt, der Unterschied war einfach zu krass.
Die ausführlichen Testberichte und Erklärungen von Mikromeister finde ich sehr interessant. Vielen Dank dafür.
In der Tat baue ich eine Großuhr und möchte darum für das Ankerlager Iglidur-J testen. Wenn es nicht gut laufen sollte, kann ich jederzeit eine Bronzebuchse oder ein Stein-Chaton einsetzen.
Kugellager will ich auch verwenden, wo große Kräfte wirken. Ich habe zwar erst wenige alte Großuhren in den Händen gehabt, aber bei fast allen war zu bemerken, dass die Buchsen von Feder- bzw. Walzenwelle und Minutenwelle, und falls vorhanden, auch Großbodenrad, meist ziemlich oval gelaufen sind. Sogar beim Kleinbodenrad habe ich das schon mehrfach gesehen.
Darum halte ich die Anwendung von Kugellagern in Großuhren durchaus für sinnvoll. Will man Uhren auf traditionelle Art bauen, dann muss man auch traditionelle Probleme in Kauf nehmen.
Die Entwicklung geht aber weiter. Es werden immer noch Neuerungen in der Uhrentechnik entwickelt. Es gibt neue Werk- und Schmierstoffe. Aus meiner Sicht ist es zeitgemäß, das Machbare und Praktische zu nutzen.
Als Kontrast zu diesen Neuerungen ist die (mechanische) Pendeluhr selbst dafür ja schon lange nicht mehr zeitgemäß. Aber man hängt irgendwie daran, wie auch an alten Automobilen oder Dampflokomotiven.
Ich wäre da vorsichtig! Kugellager oder Wälzlager haben einen Anfangs-Rollwiderstand, bei kleinen Umdrehungen sicher ein Problem. Die effektive Gleitfläche ist größer als bei einem Zapfenlager, das heißt, dass die Antriebskraft auch erhöht werden muss. Ich würde die Originalität einer Uhr nicht merklich verändern! Wenn man die Hauptlager entsprechend mit KWM- oder Bergeon-Lager ausgebuchst hat, kann man diese ja auch ohne Probleme austauschen. Eine gut reparierte Uhr wird auch lange laufen.
Vom Handwerk kann man sich zur Kunst erheben. Vom Pfuschen nie. J.W.v. Goethe
Zitat von masterpiece im Beitrag #24Ich wäre da vorsichtig! Kugellager oder Wälzlager haben einen Anfangs-Rollwiderstand, bei kleinen Umdrehungen sicher ein Problem. Die effektive Gleitfläche ist größer als bei einem Zapfenlager, das heißt, dass die Antriebskraft auch erhöht werden muss.
Das möchte ich der Vollständigkeit halber lieber richtigstellen.
1. Kugellager sind eine Bauform von Wälzlagern, genauso wie Nadellager, Kegelrollenlager oder Zylinderrollenlager. Allen ist gemein, dass es im Idealfall keine Gleit- sondern nur eine Rollbewegung der Wälzkörper gibt.
2. Da es keine Gleitbewegung gibt, gibt es auch keine Haftreibung und somit auch kaum ein erhöhtes Losbrechmoment. (im Idealfall) Ganz im Gegensatz zu einem Gleitlager.
3. Das Reibmoment ist in aller Regel deutlich geringer als bei einem Gleitlager. Während eine Gleitlagerpaarung ein µ von ca. 0,1 hat (Größenordnung), hat eine Rollpaarung etwa 0,001. Also Faktor 100 besser. In der Praxis ist das bei sehr kleinen Lagern nicht mehr ganz so deutlich , weil z.B. die Käfigreibung überproportional eingeht.
Ein Gleitlager in feinmechanischen Geräten hat aber in der Praxis sehr viele Vorteile - sehr leiche Montage und Demontage. (fädel mal z.B. 6 Kugellager gleichzeitig in ihre Sitze ein) - Sehr gute Ölhaltung - billig - sehr unempfindlich gegenüber Umwelteinflüssen - gute Dämpfung - gute Überlastfähigkeit. - im Flüssigkeitsreibungsgebiet praktisch kein Verschleiß
Ein Kugellager kann seine überragenden Eigenschaften nur bei einer guten Anschlusskonstruktion und passenden Einsatzbedingungen ausspielen. Beides ist in Uhren einfach schwierig.
. Viele Grüße von Coloman, der natürlich nicht ich ist.
Nun ist aber eine Uhr kein Staubsaugermotor. Sicher geht die Haftreibung gegen Null, wenn das Lager eine gewisse Drehgeschwindigkeit hat. Aber wenn fast Stillstand herrscht, müssen ja irgendwo die Kugeln ruhen. Sie schweben ja nicht in der Schwerelosigkeit...
Vom Handwerk kann man sich zur Kunst erheben. Vom Pfuschen nie. J.W.v. Goethe
Wir haben glaube ich zuerst ein Bezeichnungsproblem: In der Physik gibt es Haftreibung per definitionem nur im absoluten Stillstand. Sie bestimmt das Losbrechmoment eines Lagers. Was du meinst ist die Gleitreibung, die bei einem Gleitlager mit zunehmender Geschwindigkeit zuerst mal abnimmt um erst später wieder anzusteigen. (Festkörper- Misch- Flüssigkeitsreibung)
Bei einem idealen Wälzlager (und bei einer guten Verzahnung) ist die Bewegung aber eine prinzipiell andere. Eine Wälzbewegung nämlich, die keinen Gleitanteil haben sollte. Ohne Gleitanteil gibt es aber auch keine Gleitreibung und im Stillstand keine Haftreibung.
Sehr leicht lässt sich das gefühlsmäßig erfassen, wenn man eine perfekte Kugel (Wälzlager) und ein Klötzchen (Gleitlager) zusammen auf eine Glasplatte legt. Wenn man jetzt versucht das ganze vorsichtig hochzuheben ohne dass sich die beiden Prüfkörper bewegen, sieht man den Faktor 100 Unterschied zwischen Wälz und Gleitlagerung sofort. --> Die Kugel rollt unweigerlich weg. Aber, das ganze funktioniert nur so lange, wie sich die Kugel drehen, also wälzen darf. Verhindert man die Drehung, bleibt sie genauso lange auf der schrägen Glasplatte liegen wie das Klötzchen.
In einem realen Kugellager gibt es hauptsächlich Wälzreibung, aber auch einen Haft/Gleit- Reibungsanteil. Dieser resultiert aus den geometrischen Fehlern der Teile, der elastischen Verformung der Wälzpartner unter Hertzscher Pressung und vor allem der Reibung der Kugeln am Käfig. Je kleiner und je schwächer belastet ein Kugelager ist, um so größer wird der relative Anteil an Gleitreibung.
. Viele Grüße von Coloman, der natürlich nicht ich ist.
Kontakt
Moderatoren
Foren-Regeln
Links
Xobor-Interview
Uhrenwerkstattforum
Thema drucken
02.06.2013 16:19 (zuletzt bearbeitet: 02.06.2013 16:36)
Antworten
Die habe ich schon auf dem Tisch.
